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Berlin: DP-Kartei

Vorwort

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin übergab dem Zentralarchiv am 27. März 1992 eine in elf Kästen und Kartons untergebrachte DP-Kartei zur dauernden Aufbewahrung. Bei näherer Betrachtung der insgesamt 11 139 Karten stellte sich heraus, daß es sich um zwei Karteien handelt. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin unterhielt in den ersten Nachkriegsjahren mehrere Durchgangslager für jüdische Displaced Persons. Eine Kartei scheint aus dem Durchgangslager Berlin-Wittenau, Eichborndamm 140/150 zu stammen und die andere aus dem Durchgangslager in Berlin N 65, Iranische Str. 3. Bereits rein äußerlich ließen sich Unterschiede feststellen. Die Kartei aus Wittenau war in 8 gleichartigen Holzkästen untergebracht, als Karten wurden einheitliche Vordrucke verwendet (s. Abb.). Die Kartei der Iranischen Straße wurde in verschiedenen provisorischen Behältnissen gelagert (2 Pappkartons, 1 Schublade). Als Karten fanden alle möglichen etwas festeren Papiere im A5 Format Verwendung, oft alte Formulare für die Registrierung von Arbeitslosen oder auch die Rückseiten von Karteikarten aus dem Jüdischen Altersheim bzw. Hospital, gelegentlich jedoch auch dieselben Vordrucke wie in Wittenau. Beide Karteien enthalten ein vollständiges Alphabet. In der Kartei aus der Iranischen Straße fehlen lediglich die Buchstaben F und G. Möglicherweise ist ein Karton im Laufe der Jahre abhanden gekommen. Die Zuordnung der Karteien zu den jeweiligen Lagern ergibt sich aus gelegentlichen Adressenvermerken auf den Karten. In der Wittenau Kartei finden sich auch immer wieder Hinweise auf anderweitige Unterbringung, etwa im "Lager Argus, Reinickendorf, Roedernallee 32/34" (z.B. Nr. 1451, 3843) oder "privat" (z.B. Nr. 1247, 5173). Auf einer Bescheinigung, die einer Karte aus der Kartei der Iranischen Straße beiliegt, wird ein Durchgangslager Rykestrasse erwähnt (Nr. 8338). Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Lagern kann aus den vorliegenden Karten nicht restlos aufgeklärt werden. Noch ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Karteien sollte erwähnt werden. In der Iranischen Str. 3 befand sich das Durchgangslager in einem mehrstöckigen Haus. Auf den Karten wurde also nur eine Zimmer-Nummer angegeben. In Wittenau dagegen waren die Menschen in Baracken untergebracht. Auf den Karten ist deshalb meist eine Block-Nr. und eine Zimmer-Nr. vermerkt.

 

Auch der auf den Karten festgehaltene Ankunftstag unterscheidet die beiden Durchgangslager. Die Kartei aus Wittenau setzt mit dem Zugangsdatum erst im Dezember 1945 ein, während in der Kartei der Iranischen Straße häufig frühere Daten verzeichnet sind (Sommer und Herbst 1945). Man hat den Eindruck, daß zunächst eine provisorische Aufnahme in der Iranischen Straße 3 eingerichtet worden ist und erst Ende 1945 das Lager Wittenau als zentrale Aufnahmestelle seine Arbeit aufnahm. Auf Karten der Iranischen Straße findet man ab Januar 1946 Weiterleitungsvermerke nach Wittenau (z.B. Nr. 8786). Die meisten Displaced Persons blieben nur wenige Tage oder Wochen in den Durchgangslagern, lediglich in Ausnahmefällen dauerte der Aufenthalt mehrere Jahre. Die Eintragungen auf den Karten sind im allgemeinen zwischen 1945 und 1947 vorgenommen worden. Insbesondere in der Kartei aus der Iranischen Straße finden sich aber auch immer wieder Vermerke aus späterer Zeit. Eine Bemerkung auf Karte Nr. 5138 läßt den Schluß zu, daß das Durchgangslager Wittenau am 15. September 1948 aufgelöst wurde. Nach 1949 sind nur noch Spuren einer gelegentlichen Bearbeitung zu erkennen. So kam es vor, daß 1952 die Durchschrift einer Bescheinigung zur Vorlage beim Entschädigungsamt angeheftet wurde, in der der Aufenthalt im Durchgangslager Iranische Straße bestätigt wurde (Nr. 8113). In einem anderen Fall wurde 1959 von der Fürsorgeabteilung der Gemeinde auf die DP-Kartei zurückgegriffen, um eine "Bescheinigung zur Vorlage bei Behörden zum Zwecke der Auswanderung" auszustellen (Nr. 8338).

 

Bei der Bearbeitung der beiden DP-Karteien in Heidelberg wurden die Karten zunächst neu verpackt. Sie wurden aus den zum Teil beschädigten Karteikästen sowie aus den provisorischen Behältnissen herausgenommen, entstaubt und in insgesamt 20 Archivkartons neu untergebracht (=5 lfm). Da die meisten Karten aus recht dünnem Papier bestehen, das zum Teil gewellt und eingerissen ist, wurden leere A5 Karteikarten zur Stabilisierung zwischen die DP-Karten gestellt. Die Aufstellung erfolgte in alphabetischer Ordnung der Namen, wobei lediglich die Anfangsbuchstaben in die richtige Reihenfolge gebracht wurden. Die Präzisierung der alphabetischen Feinstruktur wurde dem Computer überlassen. Es muß jedoch bemerkt werden, daß nur geringfügige Unregelmäßigkeiten in der vorgefundenen Reihenfolge festgestellt werden konnten.

 

Die Karten wurden sodann durchgehend am rechten unteren Rand numeriert. Die Karteien der beiden Durchgangslager Wittenau und Iranische Straße sind auf diese Weise nicht vermischt, sondern nacheinander in zwei (fast) vollständigen Alphabeten aufgestellt worden. Zum Durchgangslager Wittenau gehören die Karten Nr. 1-5342 und zum Durchgangslager Iranische Str. die Karten Nr. 5343-11139. Um die Suche nach bestimmten Personen zu erleichtern, wurde jedoch ein beide Karteien umfassender einheitlicher Namensindex erarbeitet. Die Herkunft einer bestimmten Karte aus dem einen oder dem anderen Durchgangslager ist dann aus der Nummer ablesbar. Zur eindeutigen Identifizierung der Personen wurden folgende Daten aufgenommen und mit dem Computer Programm Data Maker verarbeitet: Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, Nummer der Karte. Ein alphabetisch nach den Namen geordneter Ausdruck ist zu diesem Findbuch gebunden worden. Ein weiterer, alphabetisch nach den Geburtsorten geordneter Ausdruck liegt im Jüdischen Zentralarchiv Heidelberg für lokalgeschichtliche Forschungen bereit. Parallel zur Datenaufnahme ist eine Totalkopie der Kartei angefertigt worden. Die Xerokopien sind zu 28 Bänden gebunden und der Jüdischen Gemeinde Berlin zur Aufstellung in ihrer Bibliothek übergeben worden. Exemplare des alphabetischen Personenverzeichnisses befinden sich bei der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, beim Jüdischen Zentralarchiv in Heidelberg, beim Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes in Arolsen, im Leo Baeck Institut New York und in Yad Vaschem in Jerusalem.

 

Die schnelle und sorgfältige Bearbeitung der beiden DP-Karteien konnte nur dank des besonderen Engagements der Mitarbeiterinnen des Heidelberger Zentralarchivs erfolgen. Frau Szarf übernahm die Koordinierung der Arbeiten, Frau Wehmann besorgte den größten Teil der Kopien und Frau Miklis hat die Daten in den Computer eingegeben. Ihnen allen sei an dieser Stelle Dank ausgesprochen.

Heidelberg, im Oktober 1992

Peter Honigmann