Personenstandsregister
Archivaliensammlung Frankfurt
Abteilung IV: Kennkarten, Mainz 1939
Vorbemerkungen
Durch Verordnung vom 22. Juli 1938 wurde im Deutschen Reich die Kennkarte als allgemeiner polizeilicher Inlandausweis eingeführt.(1) Es wurde jedoch zunächst offen gelassen, wer eine solche Kennkarte zu bekommen hatte. Bereits einen Tag später, am 23. Juli 1938, bestimmte der Innenminister dann, welche Gruppen der Bevölkerung dem Kennkartenzwang unterlagen.(2) Neben den wehrpflichtigen jungen Männern galt dieser Zwang vor allem für Juden, die deutsche Staatsangehörige waren. Sie hatten bis zum 31. Dezember 1938 bei der zuständigen Polizeibehörde einen entsprechenden Antrag zu stellen. Zuständig war das Polizeipräsidium bzw. das Landratsamt, in dessen Bezirk der Antragsteller seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt hatte. Gegen die Entrichtung einer Gebühr von drei Reichsmark sind dann im Laufe des Jahres 1939 Kennkarten für eine Dauer von fünf Jahren ausgestellt worden. Es wurde graues Leinenpapier im Format A5 verwendet, das zu einem Ausweis gefaltet werden konnte. Die Vordrucke waren bereits mit einem etwa 5 cm großen roten J versehen. In der Literatur findet sich verschiedentlich die Bemerkung, daß den Juden dieses J in bereits vorhandene Kennkarten eingestempelt worden sein.(3) Bei der aufmerksamen Betrachtung der Originale wird jedoch deutlich, daß auch das J schon zum Vordruck gehört. In der vorliegenden Sammlung von 1350 Kennkarten konnten nur vereinzelte Karten gefunden werden, denen ein J nachträglich aufgestempelt wurde.(4) Da Kennkarten auch für Nichtjuden in Frage kamen, ist eine anfängliche Verwechslung vielleicht auf diese Weise später korrigiert worden. Das Einstempeln eines J in die Kennkarten konnte schon deshalb nicht der Regelfall sein, weil vor dem Jahr 1939 gar keine Kennkarten existierten. Anders war die Situation jedoch bei den Reisepässen. Reisepässe waren Juden schon vor ihrer amtlichen Diskrimminierung ausgestellt worden. Eine Verordnung vom 5.10.1938 sah dann vor, daß deutsche Reisepässe, deren Inhaber Juden sind, mit einem J abgestempelt werden müssen.(5) Die Behandlung der Paßdokumente für das Ausland war also verschieden von der Behandlung der Dokumente für das Inland.
Bei Ausstellung der Kennkarten ist eine Kennnummer vergeben worden. Als Kennort galt der Ort, an dem die Karte ausgestellt wurde, d.h. in der Regel der damalige Wohnort. Die Namesaufnahme erfolgte bereits unter Berücksichtigung der Verordnung vom 17. Aug. 1938, die eine Hinzufügung von Sara bzw.Israel zum Vornamen mit Wirkung vom 1. Jan. 1939 vorsah. Bei der Verzeichnung der vorliegenden Kennkartensammlung ist diese künstliche Hinzufügung nicht berücksichtigt worden. Auf den Kennkarten sind weiterhin Angaben über den Beruf vermerkt, sowie Geburtsort und Geburtstag. Sie sind außerdem mit Fingerabdrücken und einem Foto 5 x 7 cm versehen. Das Foto fehlt bei Kindern unter 10 Jahren.
Neben dem Original, das dem Antragsteller als Inlandausweis diente, wurde noch eine ansonsten identische Karte auf Karton zum Verbleib bei der Behörde angelegt. Bei der vorliegenden Sammlung handelt es sich um eine solche Behördenkartei. Als diese Kartei 1992 von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt dem Heidelberger Zentralarchiv zur Bearbeitung übergeben wurde, war kein einheitlicher Ordnungszustand mehr zu erkennen. Lediglich partielle Ordnungsstrukturen konnten festgestellt werden. Manchmal stehen Karten mit dem gleichen Kennort beieinander und an anderen Stellen wieder scheint die Kartei nach Geburtsjahrgängen sortiert worden zu sein. Innerhalb der Jahrgänge geht es dann alphabetisch nach den Namen. Männer und Frauen sind in diesen Abschnitten getrennt behandelt worden. Um eine Vorstellung von dem ursprünglichen Zustand der Kartei zu gewinnen, wurde nach vergleichbaren Sammlungen von Kennkarten gesucht. Es ist jedoch nicht gelungen, solche Sammlungen ausfindig zu machen. Die Anfrage in mehreren staatlichen und kommunalen Archiven verlief ergebnislos.(6) Es scheint, daß derartige Karteien von Kennkarten nur in Ausnahmefällen erhalten geblieben sind. Auch das Schicksal der vorliegenden Sammlung ist vollkommen unklar. Da auf dem überwiegenden Teil der Karten als Kennort Mainz eingetragen ist, kann man vermuten, daß es sich ursprünglich um die Kartei des Mainzer Polizeipräsidiums gehandelt haben wird. Dafür spricht auch der Umfang der Kartei. Sie enthält insgesamt 1350 Karten. Und nach Angaben von Paul Arnsberg lebten am 31.12.1940 in Mainz noch 1355 Juden.(7) Aber auch Dieburg oder Frankfurt sind in der Kartei häufig vorkommende Kennorte. Möglicherweise sind hier unterschiedliche Provenienzen zusammengeführt worden. Es bedarf weiterer Nachforschungen, um herauszufinden, wann, durch wen und aus welchem Grund dies geschehen ist und wie die Kartei schließlich in den Gewahrsam der Jüdischen Gemeinde Frankfurt gelangte.
Aus verschiedenen Vermerken auf den vorliegenden Karten konnten lediglich Teilerkenntnisse über die ursprüngliche Handhabung der Kennkarten gewonnen werden. Bei Umzug wurde ein Karteikartendoppel der Kennkarte offensichtlich an die Polizeibehörde des neuen Wohnortes weitergeleitet und dort in die Geburtsjahrgänge eingeordnet.(8) Ein weiteres Doppel schien für die Polizeibehörde des Geburtsortes bestimmt gewesen zu sein.(9) Auch das im Besitz des Kennkarteninhabers befindliche Original wurde im Falle des Todes oder bei Auswanderung an die Behörde des Geburtsorts übersandt.(10) Die vorliegende Kartei scheint eine Wohnortkartei gewesen zu sein. Personen mit außerhessischen Kennorten sind immer wieder in die Geburtsjahrgänge eingeordnet. Und andererseits findet sich auf manchen Karten mit dem Kennort Mainz eine Bemerkung über die Weiterleitung der Originalkarte an den Geburtsort.
Da der ursprüngliche Ordnungszustand nur in sehr grober Annäherung erkannt werden konnte, wurde bei der Bearbeitung im Heidelberger Zentralarchiv nicht der Versuch einer Rekonstruktion unternommen. So wie die Kartei vorgefunden wurde, sind die Karten durchgehend numeriert worden. Dies gestattet anderen Forschern, später ihre eigenen Beobachtungen zu machen.
Zur Erschließung der Kartei wurden zwei Verzeichnisse erarbeitet. Es handelt sich um verschiedene Ausdrucke der im April 1992 von Thomas Rennspies mit dem Programm Data Maker aufgenommenen Datensätze. Das alphabetische Verzeichnis der Person ermöglicht das schnelle Auffinden einer einzelnen Karte bei biographischen Recherchen. Und das nach den Kennorten geordnete Verzeichnis möge der mehr ortsgeschichtlich ausgerichteten Forschung dienen. Für die online-Fassung sind 2006 beide Verzeichnisse zusammengeführt worden. In der Liste der Personen ist bei jedem Datensatz der Kennort ergänzt worden, der über die elektronische Suchfunktion auch ohne alphabetische Anordnung gezielt gesucht werden kann.
Sämtliche 1350 Kennkarten sind 2014 von der Ossenberg & Schneider GmbH digitalisiert worden, wobei mit einer Auflösung von 300 dpi gearbeitet wurde. Dabei sind sowohl die Vorderseiten der Karten als auch die Rückseiten aufgenommen und jeweils in einer Datei vereinigt worden, die im Dateinamen die laufende Nummer der Karte enthält. Für die Langzeitarchivierung auf dem Server des Universitätsrechnzentrums wurden zunächst TIFF Dateien gefertigt, und davon ausgehend für die Veröffentlichung im Internet PDF-Dateien. Es wurden jedoch zunächst nur die Scans derjenigen Karten mit dem bereits seit 2006 auf den Webseiten des Zentralarchivs vorhandenen Verzeichnis der zughörigen Namen verlinkt, die entsprechend den Bestimmungen des Landesarchivgesetzes von Rheinland-Pfalz (in der Fassung vom 8. September 2010) für die Nutzung personenbezogener Unterlagen (§ 3, Absatz 3) zugänglich gemacht werden durften. Es war insbesondere eine Sperrfrist von 100 Jahren nach der Geburt zu beachten. Von den 1350 vorliegenden Kennkarten erfüllten bereits 1081 dieses Kriterium. Bei den Personen, die zum Zeitpunkt der Verlinkung noch keine 100 Jahre alt waren, wurde nach dem Todesdatum gesucht. Dies geschah in der Regel unter Verwendung des vom Bundesarchiv ins Internet gestellten Gedenkbuchs. Wenn sich dort ein Deportationsdatum fand, wurde davon ausgegangen, daß die betreffende Person bald danach nicht mehr am Leben war, so daß eine Freigabe des Scans der zugehörigen Karte auf Grund der vom Landesdarchivgesetz formulierten Zehnjahresfrist nach dem Tod erfolgen konnte. In einigen Fällen wurde auch die Residentenliste des Bundesarchivs herangezogen, in der sich mitunter ein Sterbedatum im Exil fand. Auf diese Weise sind nochmals 147 Scans mit den zughörigen Namen in der Liste verlinkt worden. Anfang 2015 sind dann 1228 Namen mit den zugehörigen Scans verlinkt worden, das sind 91 % der 1350 in der Sammlung insgesamt vorhandenen Karten. Die beschriebenen Arbeiten sind von Anna Gagarkina im Rahmen einer Tätigkeit als studentische Hilfskraft ausgeführt worden.
Heidelberg, im Januar 2015
Peter Honigmann
Anmerkungen
(1) Reichsgesetzblatt, Teil I 1938, S. 913-915.
(2) Reichsgesetzblatt, Teil I, 1938, S. 921 f.
(3) R. Heuberger u. H. Krohn: Hinaus aus dem Ghetto ... Juden in Frankfurt am Main 1800-1950.
Begleitbuch zur ständigen Ausstellung des Jüdischen Museums. 1988, S. 178.
Neues Lexikon des Judentums. Hrsg.v. Julius H. Schoeps. Gütersloh/München 1992, S. 467.
(4) Siehe z.B. die Nr. 1073.
(5) Reichsgesetzblatt, Teil I, 1938, S. 1342.
Walk, Joseph: Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien. Heidelberg u. Karlsruhe 1981, S. 244 (Dort wird auch eine im Gesetzblatt nicht veröffentlichte Durchführungsverordnung referiert).
Die Abbildung eines derart gestempelten Reisepasses findet man z.B. in:
Just-Dahlmann, Barbara: Aus allen Ländern der Erde-Israel-Verheißung, Schicksal und Zukunft. Stuttgart 1982, S. 32 f.
(6) Folgende Archive haben mitgeteilt, daß sie keine Sammlung von Kennkarten besitzen: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Generallandesarchiv Karlsruhe, Staatsarchiv Ludwigsburg, Staatsarchiv Sigmaringen, Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Staatsarchiv Darmstadt.
Ohne Antwort blieben Anfragen bei den folgenden Einrichtungen:
Niedersächisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Stadtarchiv München, Internationaler Suchdienst Arolsen, Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem.
(7) Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Frankfurt a. Main 1971, Bd. 2, S. 41.
(8) Siehe z.B. Nr. 291mit dem Stempel "Doppel für Kreispol. Beh. des Wohnortes".
(9) Siehe z.B. Nr. 346 mit dem Stempel "K.K.-Doppel für Kreispol. Beh. des Geburtsortes".
(10) Auf der Rückseite von Karte Nr. 773 (Kennort Mainz) ist vom Polizeipräsidium Mainz am 21.7.39 vermerkt worden: Vorgenannter ist in Hamburg verstorben, Originalkarte wurde an den Geburtsort weitergeleitet. Ebenso findet sich auf Nr. 72 unter dem 3.8.39 der Vermerk: Vorstehender wurde die Originalkarte auf dem Flughafen Rhein-Main abgenommen und zuständigkeitshalber der Geburtsortskartei übersandt. Dieselbe ist ausgewandert.
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