Gemeinden
Bestand B. 1/13
Serie A
Jüdische Gemeinde Frankfurt
1945 – 1949
Vorwort
Der Aktenplan und die Titelaufnahmen
Verwaltungsgeschichte und Überlieferung
1. Die Zeit unmittelbar nach der Befreiung
2. Die Gemeinde der deutschen Juden
3. Die jüdische Betreuungsstelle und die jüdische Hilfskasse
4. Das Komitee der ausländischen Juden und die Fusion mit der Gemeinde
Die Aktenübernahme
Die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main gehörte vor dem Krieg zu den wenigen Großgemeinden im Deutschen Reich, die ein eigenes Archiv besaßen. Die Bestände dieses Archivs sind allerdings in der NS-Zeit bis auf wenige Einzelstücke untergegangen.
Die Zusammenarbeit zwischen der Frankfurter Nachkriegsgemeinde und dem Heidelberger Zentralarchiv begann 1991 mit der Bearbeitung einiger Personenstandsregister aus der Vorkriegszeit. Nachdem auf diese Weise ein Anfang gemacht worden war, wurde das Zentralarchiv auch in die damals einsetzenden Überlegungen zur Verbreitung des fünfzigjährigen Jubiläums der Nachkriegsgemeinde einbezogen. Die archivische Aufbereitung der älteren Nachkriegsakten schien im Hinblick auf dieses Ereignis ebenso notwendig wie vor Ort undurchführbar. Zentralarchiv und Gemeinde kamen schließlich 1992 überein, den größten Teil der Gemeindeakten als Depositum nach Heidelberg zu bringen und dort zu bearbeiten. Das Recht auf Genehmigung der Benutzung wurde der Gemeinde zugesichert. Lediglich die Akten ungefähr aus der Zeit nach 1985 sollten in Frankfurt verbleiben.
Im April 1993 wurden die Akten auf zwei große Lastwagen verladen und nach Heidelberg gefahren. Das Aktenmaterial - 302 lfm - wurde dann im Außenmagazin des Zentralarchivs in Regale gestellt und nur ganz grob nach äußeren Erkennungsmerkmalen sortiert. Jede Akte erhielt eine Nummer, und im Laufe der nächsten Monate ist ein Übersichtsverzeichnis von knapp 300 Seiten erarbeitet worden. Für jeden Ordner und jedes Konvolut wurde eine kurze Bestimmung von Inhalt und Laufzeit vorgenommen. Diese Titelaufnahmen wurden anschließend mit dem Datenbanksystem Goliath nach einem Klassifikationsschema sortiert, das ausgehend von dem in der Gemeindeverwaltung verwendeten Aktenplan erarbeitet worden ist. Das auf diese Weise entstandene Übersichtsverzeichnis ist im Grunde nur ein leicht strukturiertes Einlieferungsverzeichnis. Es sollte Findbücher nicht ersetzen.[1]
Für die in Angriff zu nehmenden detaillierten Verzeichnisse wurde der Bestand in die folgenden Serien eingeteilt:
A - C Allgemeine Organisation und Verwaltung der Gemeinde
D - F Gemeindeinstitutionen und Immobilien
(Darlehnskasse, Friedhof, Altersheim, Schule,
Frauenvereinigung, Studentenvereinigung usw.)
G Landesrabbinat Hessen
H Andere jüdische Institutionen
J Rechtsanwalt Joseph Klibansky
K Fotos
Die in Serie A vereinigten Unterlagen stammen aus den Jahren 1945 bis 1954. Das nun vorliegende Verzeichnis ist der erste Teil des Findbuchs zur Serie A und betrifft vor allem die Entstehungszeit der jüdischen Nachkriegsgemeinde, 1945 bis 1949. Bei der Bearbeitung dieses ersten Teils wurden diejenigen Ordner und Konvolute berücksichtigt, die in der Zeit 1945 bis 1949 angelegt worden waren, auch wenn sie bisweilen bis in die 60er Jahre hinein fortgeführt wurden.[2] Es handelt sich um 150 Ordner und 188 Konvolute (ca. 16 lfm), die insgesamt 250 Aktennummern des Übersichtsverzeichnisses ausmachen.[3]
Der Aktenplan und die Titelaufnahmen
Der Aktenplan zum vorliegenden Verzeichnis ist zunächst nach den Provenienzen (Registraturbildnern) aufgebaut. Hier war vor allem zwischen der Jüdischen Gemeinde, dem DP-Komitee und der Betreuungsstelle zu unterscheiden. Wenn die Herkunft einer Akte nicht eindeutig zu ermitteln war, erscheint die Titelaufnahme mit einem entsprechenden Vermerk im Kapitel 1 "Gemeinde". Obwohl die Akten von den Registraturbildnern nicht immer thematisch konsequent geführt wurden, ist der Aktenplan in zweiter Linie thematisch strukturiert. Titelaufnahmen zu inhomogenen Akten, die aber einen thematischen Schwerpunkt haben, wurden diesem Thema zugeordnet. Die Dokumente innerhalb einer solchen Akte, die dem thematischen Schwerpunkt nicht entsprechen, werden in der Titelaufnahme erwähnt und sind durch die Register erschlossen. Die ursprüngliche Ablageordnung innerhalb der Ordner bzw. Konvolute blieb unverändert. Titelaufnahmen zu Akten, die mehreren Themen gleichermaßen zugeordnet werden könnten, sind oft je nach deren Provenienz unter "Verschiedenes" zu finden. Um das Findbuch nicht unnötig anschwellen zu lassen, wurden derartige Titelaufnahmen in der Regel nicht kopiert und mehreren Themen gleichermaßen zugeordnet. Ausnahme zum Beispiel: Bestellnummer A.211. Die insgesamt 449 Titelaufnahmen sind innerhalb der thematischen Findbuchkapitel jeweils chronologisch angeordnet worden.
Wie oben erwähnt, wurden die ursprünglich größeren Akteneinheiten in kleinere Konvolute zerlegt, aber durch die alte Signatur festgehalten. Wenn die ursprüngliche Akteneinheit einen thematischen Schwerpunkt hatte, wurde sie in einer einzigen Titelaufnahme erfaßt. Das bedeutet, daß manche Titelaufnahmen gleichzeitig eine einzige alte Signatur, aber mehrere Bestellnummer beschreiben. In der Regel enthalten die Titelaufnahmen Angaben über die Laufzeit, über die Personen, die die Akte geführt haben, über deren Korrespondenzpartner, über die Themen der Korrespondenz und der sonstigen Unterlagen und schließlich über die Dokumente, die dem thematischen Schwerpunkt nicht entsprechen. Wenn in der Titelaufnahme nicht vermerkt wurde, daß die Ablageordnung innerhalb der Akte alphabetisch ist, ist sie in der Regel chronologisch. Mitunter war innerhalb der ursprünglichen Akte jedoch überhaupt keine Ablageordnung zu erkennen. Dies ist einer der Gründe, weshalb auch in Sachakten immer wieder personenbezogene Unterlagen enthalten sind. Im Zweifelsfall sind bei der Benutzerregelung also auch Sachakten wie personenbezogene Akten zu behandeln. Die Blätter einer jeden Akte (Bestellnummer) wurden im Archiv paginiert. Bei jeder Bestellnummer beginnt die Zählung neu, und sie folgt der chronologischen Ordnung, soweit solche zu erkennen war. Die Titelaufnahmen enthalten die entsprechenden Umfangsangaben.
Register
Dem vorliegenden Verzeichnis sind Orts-, Personen- und Sachregister beigegeben worden. Sie sind nicht im Internet, können nur im Lesesaal des Zentralarchivs eingesehen werden. Die Register sind hierarchisch aufgebaut. Das heißt, daß bestimmte Schlagworte unter einem übergeordneten Begriff zu suchen sind: "Haushalt" erscheint zum Beispiel in der Form "Finanzen: Haushalt". [4] Manche Begriffe werden allerdings sowohl direkt als auch untergeordnet aufgeführt. Bei anderen untergeordneten Begriffen wird auf den übergeordneten Eintrag hingewiesen. Verwandte Begriffe bzw. Synonyme wurden oft zusammengelegt. In den Datensätzen ist zum Beispiel von "Liegenschaften" oder von "Rückerstattung" die Rede. Das Sachregister kennt aber nur "Immobilien" oder "Wiedergutmachung".[5] Es kommt vor, daß im Register auf Inhalte hingewiesen wird, die in der entsprechenden Titelaufnahme nur implizit erwähnt werden. So wird mit dem Registereintrag "Gemeinde und Komitee: Fusion" unter anderem auf ein "Gemeinsames Protokoll der Jüdischen Gemeinde und des Jüdischen Komitees" hingewiesen. Inhalte, die direkt über den Aktenplan zu finden sind, werden in der Regel in den Registern nicht wieder aufgegriffen.[6] Die Register sind ein Zusatz zum Aktenplan, und sie verweisen vor allem auf Inhalte, die über den Aktenplan nicht zu finden sind. [7] Bei der gezielten Suche nach konkreten Unterlagen empfiehlt es sich folglich sowohl den Aktenplan als auch die Register zu konsultieren. Die Register verweisen jeweils auf eine bestimmte Titelaufnahme und nicht nur auf eine ganze Seite. Zu diesem Zweck sind die 449 Titelaufnahmen im Findbuch durchgehend numeriert worden (= Findbuchnummer). Diese Nummern wurden auch in die oben erwähnte Konkordanz zwischen den alten Signaturen und den neuen Bestellnummern integriert. Schließlich ist dem Verzeichnis auch eine Konkordanz zwischen den Bestellnummern und den Findbuchnummern beigegeben worden.
Verwaltungsgeschichte [8] und Überlieferung
1. Die Zeit unmittelbar nach der Befreiung
Am 29.3.1945 zog die US-Armee in Frankfurt ein. In der Stadt lebten noch an die 150 Menschen jüdischer Herkunft. In der Fichtestraße 10 gab es noch das Büro der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Bezirksstelle Hessen/ Hessen-Nassau, in die die Frankfurter jüdische Gemeinde am 6.11.1942 zwangseingegliedert worden war. Der Leiter der Reichsvereinigung, Karl Oppenheimer (1887-1950), stellte noch bis 1946 Bescheinigungen aus. Seine Akten sind aber nicht erhalten geblieben.
Am 1.4.1945 wurde der unbelastete August Adelsberger (1879-1952) durch Lieutenant-Colonel Howard D. Criswell zum Beauftragten der Frankfurter US-Militärregierung für jüdische Angelegenheiten ernannt. Adelsberger war mit einer nichtjüdischen Frau verheiratet und hatte nicht zuletzt deswegen die NS-Zeit in der Stadt überleben können. Er wurde Mitglied des Engeren Rats von Criswell und nahm die Interessen von Juden, "Mischlingen" - die NS-Sprache hallte auch bei den Juden noch etliche Jahre nach - und jüdisch Angeheirateten wahr. Nach einer Amtszeit von weniger als vier Monaten wurde Adelsberger am 10.7.1945 abberufen. Seine Akten sind erhalten geblieben. Die entsprechenden Titelaufnahmen sind - gemeinsam mit den Titelaufnahmen zu den Akten seiner Nachfolger in der Jüdischen Betreuungsstelle [9] - im Kapitel 3 zu finden. Mikrofilme der Akten der US-Militärregierung befinden sich im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden. Die Überlieferung für die ersten Monate nach der Befreiung ist weniger dicht als für die Zeit danach.
2. Die Gemeinde der deutschen Juden
Der erste jüdische Gottesdienst im Frankfurt der Nachkriegszeit fand am 1.4.1945 in der Weiherstraße 6 statt. Am selben Tag wurde Inspektor Fritz Stein (1890-1957), ehemaliger Angestellter der Vorkriegsgemeinde und dann der Reichsvereinigung, von Adelsberger bzw. von der Militärregierung mit der Verwaltung der Gebäude und Friedhöfe aus dem ehemaligen jüdischen Gemeindebesitz beauftragt. Stein übernahm das Büro der Reichsvereinigung in der Fichtestraße 10 und verlegte es als Büro der Gemeinde in das Gebäude des ehemaligen Kindergartens der Oppenheim'schen Stiftung im Baumweg 5‑7. Schwer krank ging Stein 1948 vorzeitig in Rente. Im Amt folgte ihm Verwaltungsdirektor Moritz Siegel (1887‑1977) nach. Ihre jeweiligen Akten - einschließlich ihrer Akten im Zusammenhang mit den Friedhöfen und dem Altersheim - sind im Kapitel 1.2 verzeichnet. Die Akten der eigenständigen Verwaltung des Altersheims und der Friedhöfe sind hingegen den dafür geschaffenen Serien E bzw. F zugeordnet worden.
Rabbiner Dr. Leopold Neuhaus (1879-1954), der letzte Rabbiner während der NS-Zeit in Frankfurt, kehrte aus Theresienstadt zurück und wurde zum ersten Rabbiner der Nachkriegszeit. Kaum in Frankfurt angekommen, trat er Mitte Juli 1945 auch die Nachfolge von Adelsberger an. Von der amerikanischen Besatzungsmacht wurde er mit der Gründung einer jüdischen Gemeinde beauftragt. Im November 1945 wurde er Vorsitzender des ersten provisorischen Gemeindevorstands. Die Titelaufnahmen zu den Akten von Rabbiner Neuhaus, der neben der Gemeinde auch die Jüdische Betreuungsstelle geleitet hat, wurden Kapitel 3 zugeordnet. Protokolle des provisorischen Vorstands sind nicht vorhanden, möglicherweise sind bei den Sitzungen gar keine Protokolle geführt worden, oder sie sind nicht überliefert.
Nach der Auswanderung von Rabbiner Neuhaus im Sommer 1946 bildete sich ein neuer provisorischer Gemeindeausschuß, der die Wahl eines ordentlichen Vorstandes vorbereiten sollte. Am 19.1.1947 wurden dann 15 Vorstandsmitglieder für ein Jahr gewählt. Ein Jahr später, am 29.2.1948 wurden aufgrund der Satzung vom 1.2.1948 nur noch 9 Vorstandsmitglieder gewählt, wiederum für die Dauer eines Jahres. Die wichtigsten Vorstandsmitglieder seit der Auswanderung von Rabbiner Neuhaus waren Max Meyer (1884-1971) und Rechtsanwalt Max L. Cahn (1889-1967). Meyer, der in Frankfurt "mit Unterbrechung Dachau & Theresienstadt" [10] seit 1912 wohnte, war Vorstandsvorsitzender und Kultusbeauftragter. Cahn, der im Jahr 1943 der Vorgänger von Oppenheimer bei der Reichsvereinigung gewesen war, nahm die rechtlichen Interessen der Gemeinde wahr. Die Akten des Vorstands sind im Kapitel 1.1 erfaßt. Sie stammen vor allem von Max Meyer und enthalten u.a. seine Korrespondenz und Jahresberichte für die Mitgliederversammlungen, in denen in den 40er Jahren keine Protokolle geführt wurden. [11] Im Gegensatz zu den Protokollen der Kommissionen des Vorstands sind die eigentlichen Vorstandsprotokolle so gut wie vollständig erhalten geblieben. Es handelt sich oft um Durchschläge, die sich in den Handakten von Max Meyer befinden. Ebenso wie die Originale der Protokolle fehlen im Bestand auch Originale von Urkunden und Verträgen. Letztere sind nicht unbedingt verloren gegangen. Die Urkunde zum Beispiel, in der der Gemeinde die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen wird, befindet sich nach wie vor im Gemeindetresor. Max L. Cahn hat Unterlagen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die Gemeinde vermutlich in seiner privaten Kanzlei abgelegt. Sein Sohn, Hans Cahn, geht davon aus, daß diese Akten bei Umzügen verloren gegangen sind. [12] Seit Ende 1948 vertrat auch der aus der Emigration in Frankreich und Italien zurückgekehrte Rechtsanwalt Joseph Klibansky (1902-1957), der bereits ein aktives Mitglied in der Vorkriegsgemeinde gewesen war, die rechtlichen Interessen der Gemeinde und des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Hessen. Erst zwei Jahre nach der Auswanderung von Rabbiner Neuhaus wurde Rabbiner Dr. Wilhelm Weinberg (1901-1976) als neuer Gemeinderabbiner eingestellt. Die Akten von Klibansky und Weinberg sind für die detaillierte Verzeichnung jeweils den Serien J und G zugeordnet worden.
Anhand von Deportationslisten und einer Sterbeliste von Juden aus Frankfurt, Wiesbaden und Offenbach, die Rabbiner Neuhaus in Theresienstadt hatte anfertigen lassen, beantwortete das Gemeindebüro Anfragen nach vermißten Personen. Lediglich die Listen der Transporte von Mai und Juni 1942 nach Lublin standen dem Gemeindebüro zur Auskunftserteilung nicht zur Verfügung. Darüber hinaus beschäftigte sich die Gemeinde mit Anfragen von ausgewanderten Frankfurter Juden zu ihrem Grundbesitz und ihre sonstigen Vermögenswerte. Titelaufnahmen zu Deportationslisten siehe im Kapitel 1.1.1. Einträge zur Nachforschungskorrespondenz sind je nach Registraturbildner in den Kapiteln 1.2.2, 3.3 und 2.1.3 zu finden.
Beginnend mit dem 26.10.1945 gab Rabbiner Neuhaus das Mitteilungsblatt der jüdischen Gemeinden und Betreuungsstellen heraus. Er begriff es als ein Mitteilungsblatt, "das nur als ein solches zu werten ist und keinerlei politische, oder andere Ambitionen hat." [13] Nach seiner Auswanderung übernahm der Verwaltungsleiter der Gemeinde, Fritz Stein, die Redaktion. Der provisorische Vorstand stellte jedoch im Sommer 1946 fest, daß Stein die Schriftleitung eigenmächtig übernommen habe und beendete die weitere Herausgabe des Mitteilungsblattes. Die letzte Nummer erschien am 30.8.1946. Das Mitteilungsblatt ist vollständig im Zentralarchiv vorhanden (Bestand B.8).
3. Die jüdische Betreuungsstelle und die jüdische Hilfskasse
Das genaue Gründungsdatum der Jüdischen Betreuungsstelle der Stadt Frankfurt am Main ist schwer zu ermitteln. Sie muß jedoch bereits zwischen Ende April und Ende Juni 1945 zur Amtszeit von Adelsberger und unter seinem Einfluß gegründet worden sein. Sie funktionierte in der Zeit von 1945-1946 wie eine städtische Dienststelle. Eine enge Verbindung mit der Jüdischen Gemeinde wurde aber sowohl vorausgesetzt als auch angestrebt. Diese war schon durch eine Personalunion gegeben: Rabbiner Neuhaus war ihr erster offizieller Leiter. Grundsätzliche Fragen wurden in regelmässigen Sitzungen eines Beirates erörtert, der sich aus Vertretern der Betreuten zusammensetzte. Kostenträger war das Fürsorgeamt der Stadt Frankfurt bzw. die Stadtverwaltung, die an den Entscheidungen beteiligt war. Zuwendungen kamen 1945-1946 aber auch vom American Joint Distribution Committee (Joint).
Im April 1946 zog die Betreuungsstelle von der Friedrichstraße 29 in das Gemeindegebäude im Baumweg 5‑7 um. Spätestens seit Juli 1946 sah die Stadtverwaltung in der Betreuungsstelle keine städtische Behörde mehr, sondern eine Abteilung der Gemeinde. Gemeinde und Betreuungsstelle paßten sich dieser Sicht zunehmend an. Die der Betreuungsstelle übergeordnete Behörde, die zumindest zum Teil für die Kosten aufkam und die neben der Gemeinde an grundsätzlichen Entscheidungen maßgeblich beteiligt war, war nunmehr die Abteilung des Staatskommissars für die Betreuung der Juden in Groß-Hessen, Dr. Curt Epstein (1898-1976), dem Betreuungsstellen auch in anderen Städten unterstellt waren. Nach der Auswanderung von Rabbiner Neuhaus ernannte Epstein den gebürtigen Frankfurter Wilhelm Stern (1887‑1960) zum Leiter der Jüdischen Betreuungsstelle.
Im Sinne der "Verordnung über die Bildung und das Verfahren der Betreuungsstellen in Gross-Hessen" vom 27.11.46 wurde für die Stadt Frankfurt eine allgemeine Betreuungsstelle für politisch, rassisch und religiös Verfolgte in der Wiesenhüttenstraße 11 eingerichtet. Sie sollte die einzige Betreuungsstelle dieser Art in Frankfurt sein und somit auch die Jüdische Betreuungsstelle einschließen. Die Gemeinde wünschte jedoch, daß die Jüdische Betreuungsstelle als eigenständige Einheit innerhalb der allgemeinen Betreuungsstelle erhalten bleibe. Der Leiter der Jüdischen Betreuungsstelle sollte stellvertretender Leiter der allgemeinen Betreuungsstelle werden. Gleichzeitig wollte die Gemeinde eine eigene Fürsorgestelle gründen. Diese Vorstellung von zwei jüdischen Betreuungsstellen konnte jedoch nicht durchgesetzt werden. Ab April 1948 war die Gemeinde dann durch ihren oben erwähnten Verwaltungsdirektor, Moritz Siegel, in der allgemeinen Betreuungsstelle vertreten. Damit war die Integration der bisherigen Jüdischen Betreuungsstelle in die allgemeine Betreuungsstelle vollzogen. Im Rahmen der Gemeinde - wenn auch mit beschränkten Aufgaben - fand die Jüdische Betreuungsstelle aber als Betreuungsstelle der Jüdischen Gemeinde Frankfurt eine gewisse Fortsetzung. Nach der Auswanderung von Stern übernahm Leo Löwenfels (1891-1952) die Leitung. Die Titelaufnahmen zu den Akten der Betreuungsstelle sind im Kapitel 3 zusammengefaßt worden. Löwenfels führte seine Akten zum Teil gemeinsam mit dem Verwaltungsdirektor. Siehe daher auch Kapitel 1.2. Die Gegenüberlieferung, die Akten der Landesregierung bzw. von Epstein, ist sehr lückenhaft. Die entsprechenden Akten befinden sich im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden.
Die Gemeinde unterhielt zwischen 1945 und 1948 auch eine Jüdische Hilfskasse. Das Grundkapital von RM 40 000 wurde 1945 vom Joint bereitgestellt und 1946 von ihm um RM 25 000 vermindert. Vergeben wurden zinslose Darlehen an Gemeindemitglieder zur Geschäftsgründung. In den Jahren 1946 und 1947 erhielten zwölf Gemeindemitglieder Darlehen in Höhe von jeweils RM 1 200 bis RM 5 000. Die Hilfskasse überstand die Währungsreform 1948 nicht. Die entsprechenden Titelaufnahmen sind im Kapitel 1.1.11 zu finden. Erst 1954 wurde wieder eine Darlehenskasse der Jüdischen Gemeinde Frankfurt gegründet, die bis 1976 existierte. Ihre Akten wurden der Serie D zugeordnet.
4. Das Komitee der ausländischen Juden und die Fusion mit der Gemeinde
Aus Buchenwald, Bergen-Belsen und möglicherweise auch aus anderen Konzentrationslagern kam im Frühjahr 1945 auch "eine gross[e] Zahl" [14] polnischer Juden nach Frankfurt. Aus Buchenwald waren es etwa 200. Ende August 1945 wurden 600 jüdische Displaced Persons - vor allem aus Polen - in Frankfurt gezählt. Die meisten von ihnen hatten vor, nach Palästina auszuwandern. Sie könnten die ersten Bewohner des im Sommer 1945 gegründeten DP-Lagers in Zeilsheim gewesen sein. Im September 1945 hielten sich nur noch wenige DPs im Frankfurter Stadtgebiet auf.
Im Herbst 1945 kamen weitere jüdische DPs nach Frankfurt. Empfangen wurden sie von einem zionistischen DP-Komitee im Hotel Stadt Heilbronn in der Moselstraße 12. Vor Ort standen zehn Betten zur Verfügung. Koschere Mahlzeiten wurden in der Wiesenhüttenstraße 11 angeboten. Nicht alle DPs gingen von Frankfurt nach Zeilsheim weiter. Im Winter 1945/1946 befanden sich 250-300 polnische Juden im Stadtgebiet. Das Komitee nannte sich jetzt Regionalkomitee der befreiten Juden in Groß-Hessen.
Rabbiner Neuhaus stand mit den DPs in Kontakt, nahm aber ausländische Juden in die Gemeinde nicht auf. Um die mittlerweile an die 550 DPs im Stadtgebiet besser versorgen zu können, veranlaßten das Zentralkomitee der befreiten Juden in der US-Besatzungszone in Deutschland (München) und der Joint die Gründung eines Komitees der befreiten Juden in Frankfurt am Main als eine Art Frankfurter Zweigstelle des Zentralkomitees. Das Büro dieses städtischen Komitees, das in der Literatur mit dem Komitee der befreiten Juden, Zeilsheim bei Frankfurt am Main häufig verwechselt wird, wurde im Sandweg 8 eröffnet. Die Zuteilungen und finanziellen Mittel des Joint bekam das Stadtkomitee nun über das Zentralkomitee, genauer gesagt durch dessen hessischen Zweig, das obige Regionalkomitee, das in den benachbarten Sandweg 7 umgezogen war. Die Struktur der Komitees war streng hierarchisch, mit dem Komitee der befreiten Juden in Frankfurt am Main - wie auch anderen Ortskomitees, zum Beispiel dem Lagerkomitee Zeilsheim - auf unterster Stufe.
Um die Gründung des Komitees der befreiten Juden in Frankfurt am Main vorzubereiten, bildete sich am 26.3.1946 zunächst ein "Organisier-Komitee", das ähnlich wie der provisorische Ausschuß der deutsch-jüdischen Gemeinde Wahlen zu einem demokratisch legitimierten Vorstand vorzubereiten hatte. Die erste Wahl fand dann am 19.5.1946 statt. Gewählt wurde ein Vorstand von 9 Mitgliedern und eine Revisionskommission. Die Revisionskommission - bei der Gemeinde existierte eine derartige Einrichtung nicht - hatte die Arbeit des Vorstands zu überwachen. Ende Juli 1946 wurde das Komitee von der Militärregierung genehmigt. Wie in der Gemeinde fanden die Wahlen jedes Jahr statt. Am 19.1.1947 wurden wieder ein Komiteevorstand und eine Revisionskommission, aber auch ein Ehrengericht gewählt, das im Gegensatz zum Schiedsgericht der Gemeinde ein von den Mitgliedern gewähltes Dauergremium war. Am 7.3.1948 wurde zum letzten Mal im Frankfurter Komitee gewählt.
Das wichtigste Vorstandsmitglied war der 1946-1948 amtierende Vorsitzende David Werba (1890-1971). Er wurde im Amt durch Moses Goldberg (1898-?) abgelöst. Weitere Mitglieder des Vorstands bzw. der Revisionskommission, die eine besonders aktive Rolle spielten, waren Emil Wulkan (1890-1961), Dr. Moses Rubin (1912-1988), Adolf Olkowicz (1901-1968), Lucian Rogozinski (1902-1976) und Stefan Berger (1922‑?). Das Komitee war eine zweite jüdische Gemeinde in Frankfurt, und es befaßte sich folglich nicht nur mit der materiellen Versorgung. Seit Ende 1946 wirkte Rabbiner Dr. Leon Thorn (1906‑1978) als Rabbiner des Komitees. Rabbiner Ire (Uri) Blut (1904‑?) wurde seit 1947 als Rabbinatsassessor beschäftigt. Die Titelaufnahmen zu den Akten des Komitees bilden das Kapitel 2 des Findbuchs. Die Vorstandsakten stammen vor allem von Werba, Goldberg und Wulkan. Die Überlieferung der DPs ist allerdings lückenhafter als die der deutschen Juden. Wahlunterlagen des Komitees, Akten seiner Rabbiner, Kommissionen und Parteien sind so gut wie nicht vorhanden.
Komitee und Gemeinde fusionierten durch die Wahl eines neuen gemeinsamen Vorstandes am 24.4.1949. Zum Zeitpunkt der Fusion zählte das Komitee 1073 und die Gemeinde 835 Mitglieder. Komitee, Gemeinde und Betreuungsstelle standen mit anderen Organisationen in Kontakt, von denen sie Unterlagen bekommen und aufbewahrt haben, wie zum Beispiel Protokolle der Interessenvertretung der Jüdischen Gemeinden und Kultusvereinigungen der amerikanischen, englischen und französischen Zone Deutschlands, Protokolle des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Hessen usw. Siehe dazu vor allem Kapitel 1.1.14 und 3.12.
Akten der Finanzverwaltung ohne bleibenden Wert, zum Beispiel Kontoauszüge, abgelehnte Kostenvoranschläge, Rechnungen und Quittungen für Schreibwaren, Einrichtungsgegenstände, Reparaturen usw. wurden nicht verzeichnet und sind zur Kassation vorgesehen. Historisch aussagekräftige Unterlagen wie Haushaltspläne, Korrespondenzen mit Banken und Versicherungen, weitere Versicherungs- und Steuerunterlagen sind je nach Provenienz vor allem in den Kapiteln 1.1.6, 1.2.5 und 2.1.6 zu finden. Wenn eine vorwiegend belanglose Finanzakte einzelne bedeutende Dokumente enthielt, wurden letztere aus der Akte nicht herausgerissen, sondern die ganze Akte in Serie A aufgenommen.
Alon Tauber
Heidelberg, im April 1999
[1] Vgl. Peter Honigmann: Die Frankfurter Nachkriegsakten im Heidelberger Zentralarchiv. In: Wer ein Haus baut, will bleiben. 50 Jahre Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main. Anfänge und Gegenwart. (Begleitbuch zur Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Frankfurt am Main 10. Dez. 98 - 14. Febr. 1999). Frankfurt 1998, S. 156-164.
[2] Zwei Titelaufnahmen entsprechen dieser Regel nicht, da sie sich jeweils auf Konvolute beziehen, die erst 1950 angelegt wurden (Bestellnummer A.233 und A.854). Ursprünglich war nämlich für den Zeitraum 1945 - 1954 ein einziger Band geplant, ein Plan, der verworfen wurde, weil das Findbuch zu umfangreich geworden wäre. Auf der anderen Seite wurden wenige Akten nicht aufgenommen, die vor 1949 angelegt worden waren, die aber vor allem nach 1949 fortgeführt wurden.
[3] 89 Mappen waren in der einzigen Aktennummer 3017 zusammengefaßt.
[4] Weitere Beispiele:
Vorstand.......................................... "Gemeinde: Vorstand" bzw. "Komitee: Vorstand"
Budge-Stiftung.................................. "Stiftung: Budge"
Hebelstraße, Frankfurt am Main........... "FFM: Hebelstraße"
Finanzamt, Frankfurt am Main.............. "FFM: Finanzamt"
Hessisches Landesernährungsamt......... "Hessen: Landesernährungsamt"
"Der Weg"..........................................."Zeitung: Der Weg"
aber
"Mitteilungsblatt der jüdischen
Gemeinden und Betreuungsstellen"...... "Mitteilungsblatt"
[5] Weitere Beispiele:
Betraum, Betsaal.................................... "Synagogen"
Entschädigung........................................ Wiedergutmachung
Unterricht............................................... Schule
[6] Beispiel: Auf eine Friedhofsakte, die entsprechend dem Aktenplan im Kapitel "1.2.14 Friedhof" aufgeführt wird, wird im Sachregister unter "Gemeinde: Friedhof" nicht hingewiesen.
[7] Beispiel: Auf eine Friedhofsakte wird im Sachregister unter "Gemeinde: Friedhof" hingewiesen, wenn sie sich etwa in einer Personalakte befindet, die entsprechend dem Aktenplan im Kapitel "1.2.10 Personal" - und nicht im Kapitel "1.2.14 Friedhof" - aufgeführt wird.
[8] Auf historische Fragen geht der Autor in dem folgenden Aufsatz ein:
AlonTauber: Die Entstehung der Jüdischen Nachkriegsgemeinde [Frankfurt am Main], 1945- 1949. In: Wer ein Haus baut, will bleiben. 50 Jahre Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main. Anfänge und Gegenwart. (Begleitbuch zur Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Frankfurt am Main 10. Dez. 98 - 14. Febr. 1999). Frankfurt 1998, S. 98-108.
[9] Über die Jüdische Betreuungsstelle siehe weiter unten.
[10] Brief von Meyer an S. L., 1.4.1947. ZA B.1/13 A.728: Bl.11.
[11] Protokoll des Gemeindevorstands, 10.6.1954. ZA B.1/13 A.11: Bl.48.
[12] Gespräch mit Hans Cahn am 9.12.1998 in Frankfurt.
[13] Brief von Neuhaus an die Jüdische Gemeinde Berlin, 27.1.1946. ZA B.1/13 A.674: Bl.5.
[14] [August Adelsberger:] Rechenschaftsbericht über meine Tätigkeit [...], 16.7.1945. ZA B.1/13 A.114: Bl.29.